Montag, 15. Februar 2010

Maische aus Menschbergen & der Hartz 4

Zur Zeit macht der Westerwilli mal wieder Schlagzeilen mit seinen Außerungen zu Hartz IV. Vor kurzem kam eine Sendung in der ARD zum Thema, den Link dazu gibts hier.

Ein Gastautor hat dazu eine satirisch-ironische Betrachtung verfasst, viel Spaß:

Am 12.01.2010 gab es „Menschen bei Maischberger“!

Diese sonst so beliebte Unterhaltungsschau entwickelte sich wohl unbeabsichtigt zu einem schrägen Drama einer Sozialklamotte mit Elementen von Kafka bis Wallraff. Unter dem irritierenden Titel „Maische aus Menschbergen“ hatte Frau M. ein hochkarätiges Expertenteam geladen, das große gesellschaftliche Problem der Arbeitslosigkeit auf unterhaltendem Niveau anzugehen. Wie man sah und hörte, versuchten die Fachleute an unterschiedlichen Fallbeispielen Lösungen zu finden. Da ereiferte sich der Sozialexperte mit etwas aufgesetzter Emphase. Da wetterte ein problemnaher Bürgermeister. Da dozierte ein weltferner Beamter. Inmitten residierte wie eine Fruchtbarkeitsgöttin der Antike unglamourös, aber von edler Fraulichkeit „Sandrina Megemonte“!

Zu ihrer „Rechtens“ der gewesene Bundesarbeitsführer „Gerstenkorn“, seit langem bewährter Staatsschauspieler, in allen Rollen seines Fachs einsetzbar. Ein erstklassiger Künstler, der bei reduzierter Mimik und neutraler Physiognomie eine Menge Blasiertheit und kultivierten Zynismus herüberbringt.

Dann der „Nestor“ der Sozialfachleute „Wilhelm T. Geßler“ mit beachtlicher Gedächtnisleitung, hantierte mit aktuellen Statistiken und führte mit verblüffender Sicherheit, penibel korrigierend, durch den neuesten Zahlendschungel der Arbeitsagenturen. Außerdem charakterlich gestählt durch seine Erfahrung als Bergsteiger. Mit allen Seilschaftsproblemen vertraut, wissend, dass es trotz aller modernen Sicherheitssystemen zum Absturz kommen kann.

Anwesend, unerlässlich, der bekannte Kleinstadtpolizist „Rambobowski“ aus Berlin Neuköpenik. Ein Praktiker, der hautnah am Abschaum, vergeblich und redlich und unverBlümt gegen Windmühlen kämpft. Umwabert von Knoblauchwolken und Billigbierdunst versucht er die Orientierung nicht zu verlieren.

Etwas eingeklemmt dazwischen der 1. Fall, vorgeführt in der Rolle als Delinquent. Ein guter 50er, fristet sein Leben schon 30 Jahre ohne geregelte Arbeit. Für das Tribunal eine rätselhafte Person. Er beantwortet Fragen höflich in fließendem Hamburger Tonfall trocken und reflexionslos, unaufgefordert gibt er nicht viel von sich preis. Stoisch mit bescheidener Selbstzufriedenheit erklärt er sich mit seiner Lebensführung einverstanden. Auf Befragen sieht er sein Verhalten als durchaus legitim an. Das Tribunal ist von solch ehrlicher Indolenz sichtlich beeindruckt.

Dann wurde der Deus ex Machina zugeschaltet. Wie ein Menetekel erschien auf einem Bildschirm der Geist eines Gerechtigkeitsgelehrten (gespielt von einem Hamburger Beamten), der in eindrucksvoller Weise, wie aus dem Jenseits, im gepflegten Gerichtsjargon aus den heiligen Schriften zitierte. Anschließend wurde der Delinquent zur Beurteilung freigegeben. Eine gespenstisch surreale Szene!

Die Sachverständigen Gerstenkorn und Rambobowski ließen unverBlümt erkennen, dass neben ihnen schlicht und einfach ein Schnorrer saß, nicht sozial integrierbar. Er müsste außerhalb des sozialen Gefüges einen Platz bekommen. Aber wo und wie?

Der Sozialexperte Geßler versuchte das Problem weicher und differenzierter anzugehen. Ein exotischer Fall!! Ein kranker Mensch! Sozial- und persönlichkeitskrank! Absolut untypisch als Arbeitsverweigerer.

Diese Persönlichkeitsstruktur entzog sich auf unheimliche Weise allen akademischen Bewertungen. Wie kann man diesen Sonderling erklären? Aus seinen kargen Äußerungen kann man absolut nichts ableiten. Ein Lebenskünstler, der sich frei zum Schmarotzertum bekennt? Ein Diogenes? (Lebte der als Honorarprofessor?)

Ein Kyniker, der mit eingeschränkter Lebensweise der Gesellschaft nicht allzu sehr zur Last fallen will? Ein Proletenhedonist? Vielleicht ahnt er, dass er im Arbeitsleben mit seinem Unvermögen die Tüchtigen nur stört? Bei seiner jetzigen Lebensweise geht er diesem Problem aus dem Weg. Er erträgt lieber die Verachtung der Gesellschaft und den Druck durch die Behörden, was tun?

Im Zuschauerraum machte sich Unruhe bemerkbar. Das vorwiegend ältere Publikum wusste von Lösungen, die heute tabuisiert sind. Aus dem Nebel der Vergangenheit tauchte der schmiedeeiserne gebogene Sinnspruch auf. Ein Spruch, der erst bei entsprechender Anwendung seine Deutung erhält.

Das Tribunal entließ den Delinquenten mit offensichtlicher Ratlosigkeit. Es versagte verstört wie ein Irrenarztkonsilium des 19. Jahrhunderts.

Das zweite Fallbeispiel! Eine sehr lebenstüchtig wirkende, blendend aussehende, sprachlich gewandte Frau, die sich dank Fördermaßnahmen der Arbeitsagentur von „Hartz“ in eine recht komfortable Situation gebracht hat. In die Selbstständigkeit gekommen und zeigt sich zuversichtlich und optimistisch. Ein klassischer Fall wie gut „vermarktbare“ Personen erfolgreich sein können. Die Stimmung wurde entspannter.

Dann ließ sich das dritte Fallbeispiel vorführen! Eine durchaus sympathisch wirkende Frau mit auffällig schlechter Zahnversorgung, allein erziehend, 4 Kinder, das Erste schon sehr früh bekommen, immer in prekären Familienverhältnissen leben müssen, aber nicht unbedingt lebensuntüchtig wirkend. Auch berufliche Qualifikationen ließen sich ausmachen. Ebenfalls Interesse am Einstieg in das Arbeitsleben, das sich, nach ihren Angaben, verständlich, schwierig gestaltet. Es kam die Sprache auf ihre finanzielle Situation, die sich aus verschiedenen Sozialleistungen zusammensetzt, eine Summe von 1700 € stand im Raum. Man wohnt im eigenen Haus, ein ererbtes Objekt, kein Neubau. Die Frau erklärte, dass sie mit den zu Verfügung stehenden Mitteln, die Familie nur äußerst knapp versorgen kann, es reicht einfach nicht!

Das reichte aber dem Sachverständigen Gerstenkorn! Diese etwas naive Lageschilderung erschien ihm wohl wie eine Provokation, mit verhaltener Empörung erklärte er, sie verfüge über das Lohneinkommen eines gestandenen Handwerkers (Tischler).

Das Publikum reagierte irritiert, war durch die geschickt rhetorische Fokussierung auf die 1700€ sichtlich beeindruckt. Hier hatte man eigentlich eine Aufschlüsselung der Ausgaben vornehmen müssen. Das hätte sich sicher extrem kompliziert gestaltet. Ein Betriebswissenschaftler, der dem Kinderschutzbund oder ähnlichen Einrichtungen nahe steht, hätte mal eine Analyse machen können. Es wäre ein Glaubenskrieg ausgebrochen.

An dieser Stelle wäre ein Zwischenspiel als Einschub sehr erhellend gewesen. Alle Protagonisten könnte man sich Sarah Carworker und Phil Masfield vorstellen. Mit ihrer Direktsicht auf die Probleme hätte manche Irritation beseitigt werden können. Mit ihren lebensnahen Analysen hätte man die zweifelnden Lager wieder stabilisieren können. Zur Entspannung des Publikums hätten die beiden ein dialektisches Ping-Pong-Spielchen veranstaltet mit dem erwarteten Ausgang: Die Bälle bleiben im Nebel verschwunden, das Publikum ist beglückt.

Um die Thematik intellektuell zu erhöhen, sollte man auch eine anerkannte Geistesgröße heranziehen. Die Bühne wäre geräumt, ein Stuhl, ein kleiner Tisch, ein Glas Wasser. Vorstellbar wäre der allseits bekannte Peter Schloterdeik. Ohne den Verdacht sich der modernen Kulturtechniken zu bedienen, könnte er im Qualm der Ideologien wie eine moderne männliche Phytia gewaltige Geistesgebäude auftürmen. Im Publikum wären sicher einige Leute, die begeistert einige Wortfetzen heraushören könnten. Die alten Herrschaftsmodelle werden erklärt. Auch im alten Hellas war Demokratie nur einem Teil des Volkes vergönnt. Es gab Heloten, Periöken und andere Volksgenossen.

Auch jesuanische Betrachtungen werden herangezogen: Das schwer verständliche Gleichnis vom getreuen Knecht: „Wer hat, dem wird gegeben“. Auch sehr geisterweiternd das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg. Ein Paradigma von erstaunlicher Weitsicht. Sehr gut anwendbar um die Problematik um die Kopfpauschale zu erklären. Die älteren Menschen mit der bescheidenen Volksschulbildung sind hier im Vorteil, mussten sich noch Bibellesungen und Lernen von Gesangbuchliedern über sich ergehen lassen. Die weiteren Ausführungen leiten dann aus dem Dunkel der Antike über Augustinus, Erasmus, Kant und Hegel, Marx und Merkel in den Dunst der Gegenwart. Nicht zu vergessen die heutigen Intellektuellen in der Politik, die Hochgebildeten, die Phalanx der Rechtsgelehrten, die elegant formulierenden, die Wortkämpfer, sind sie doch durch ihre heimischen Kanzleien direkt mit dem Volk verbunden. Eine sehr effektive Art von direkter Demokratie!

Das geläuterte Publikum ist nun in der Verfassung den Schluss herbeizusehnen.

Nachdem das Publikum durch Knopfdruck den Theatervorhang geschlossen hatte und sich gähnend in die inneren Gemächer begibt, in wohliger Sicherheit dem neuen Tage entgegenschlummert, will der Rezensent, bevor er das Gleiche tut, noch einmal (das letzte Mal) zusammenfassen.

Hatte diese Sendung, abgesehen von ihrem Unterhaltungswert, eine verborgene Botschaft? Wer stand dann hinter dieser Botschaft? War die Botschaft vielleicht unbewusst raffiniert getarnt? Oder hat der hypersensible Rezensent seine Phantasie überstrapaziert?

Wie es auch sei! Die Botschaften haben ihr Publikum erreicht. Der Spießer wurde betätigt. Der Sozialengagierte empörte sich. Die Betroffenen waren nicht dabei. Stellvertretend ihre Fallbeispiele, man sah ja RTL.

Fall 1: Ein armer Hund, ein Kyniker (der es nicht weiß) lebt zufrieden und teilt sein Essen mit seinem Hund.

Fall 2: Die sympathische Frau mit der Attitüde einer Karrierefrau teilte sich mit und alle wünschen ihr eine gute Zukunft.

Fall 3: Die liebe junge Frau wird ihre Kinder schon durchbringen und ihre Zahnversorgung ist kein Lifestyleproblem.

Der Rezensent verabschiedet sich mit der Entschuldigung für überspitzte Formulierungen, pseudo-intellektuellen Anspielungen, auch „Geschwurbel“ würde passen. Der Unterhaltungswert war die eigentliche Absicht. Aber das ist auch nicht ganz ernst gemeint.

Gute Nacht

auch Deutschland!


Donnerstag, 4. Februar 2010

Mein Unwort des Monats

Jürgen Körner wird heute in einer örtlichen Tageszeitung mit den Worten: „Das ist notwendig, weil der Geldbedarf da ist“, zitiert. Wer Jürgen Körner ist? Er ist der Sprecher der BKK für Heilberufe. Menschen in Heilberufen neigen nun mal zu erhöhter Krankheitsanfälligkeit, das hat einfach mit ihrem Arbeitsgegenstand (Alte, Kranke...) zu tun, klar! Für dieses Risiko werden sie ja auch entlohnt, allerdings nicht alle entschädigt. War ja auch ihre eigene Entscheidung, sich in „Lebensgefahr“ zu begeben. Der Zusatzbeitrag ist also notwendig, weil die Leute zu oft krank werden. Allerdings ist gerade bei dieser Berufsgruppe (ausgenommen Ärzte), wie bei so vielen anderen, ebenfalls der Geldbedarf da. Geld kann ja jeder gut gebrauchen und wer keins hat, kann keins ausgeben/abgeben. Ach, was da noch alles dranhängt...